Tamara Quint

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Tamara Quint

Mit ihren kleinformatigen Aktfiguren wagt sich die in Russland geborene Bildhauerin Tamara Quint in Grenz- und Tabubereiche der Kunst vor. Gewiss gehörte der nackte weibliche Körper schon seit der griechischen Antike zu den am häufigsten aufgegriffenen Themen der Skulptur und Plastik, doch wurde der künstlerische Blick selten zuvor so lustvoll auf die Lust geworfen, der Akt so sehr auf erotische Attraktion hin verdichtet. An prähistorische oder primitive Fetischfiguren erinnernd, gewinnen die Geschlechtsspezifika höchste Präsenz: Rundungen wölben sich dem Betrachter entgegen, laszive Körperhaltungen geben den Blick auf die Scham frei - schamlos. Für die Verdichtung der Formaussage auf die dem Frauenkörper innewohnende Anziehungskraft wird bisweilen eine fast deformierende Verfremdung der Anatomie in Kauf genommen. Die Erotik emanzipiert sich vom klassischen Schönheitsideal. Dies zeigt sich auch und insbesondere an den teilweise bis zur Maskenhaftigkeit ihrer Individualität beraubten Köpfen, deren Mimik oft grenzenlose Abenteuerbereitschaft auszudrücken scheint.

Doch gelten Tamara Quints Gestaltungsprinzipien mitnichten nur einem plakativen Zuschaustellen von Geschlechtsmerkmalen. Vielmehr bleibt jedes anatomische Detail eingebunden in die Gesamtkomposition der jeweiligen Figur. Häufig wird der weibliche Körper einem eleganten, arabesk geschwungenen Linienfluss einbeschrieben. Diese an plastische Werke des Jugendstils sowie an Gemälde Henri Matisse' oder Amadeo Modiglianis erinnernde Konturierung wird häufig noch durch Binnenlineaturen ergänzt, die sich aus der abstrakt-ornamentalen Faltengebung oder Saumführung der Teile des Körpers bedeckenden Gewänder ergeben. Ihre aufgeraute Oberfläche verleiht den angrenzenden, glatt polierten Hautpartien eine noch größere fleischliche Präsenz.

Gerade durch ihre differenzierte Oberflächengestaltung wollen Tamara Quints Kleinplastiken nicht nur betrachtet, sie wollen berührt werden. Die unterschiedliche Modellierung fordert geradezu zum haptischen Kontakt auf. Mit eigenen Händen vermag der Rezipient nachzuvollziehen, was die Künstlerhand zuvor formte. Betrachten wird zum "Be-Greifen". Der plastisch aufbau-ende Arbeitsprozess bleibt auch in den Abgüssen sichtbar. Glatt polierte und zu geometrischen Grundformen reduzierte Partien finden sich neben rau belassenen, unruhig konturierten Bereichen.

Die Ästhetik von Tamara Quints Arbeiten resultiert nicht aus der bloßen Beobachtung natürlicher Schönheit, sondern aus deren künstlerischer Gestaltung. Trotz der engen Orientierung am - eigenen? - weiblichen Körper versteht sich Tamara Quint nicht als Schöpfungsnachahmerin, sondern als Schöpferin. Die Rhythmik der Linienführungen, der Tonumfang der Oberflächenvaleurs mögen hierbei auf den synästhetischen Kunstzugang der Pianistin und Klavierlehrerin verweisen. Hierin steht sie ihrem russischen Landsmann Wassily Kandinsky nahe, der bereits vor einem Jahrhundert mit seinen abstrakten Kompositionen und Improvisationen den Versuch unternommen hatte, auf der Tastatur eines virtuellen Klaviers aus Farben und Formen die verschiedenen Saiten der komplexen menschlichen Gefühlswelt zum Klingen zu bringen. Tamara Quints Klavierstück ist eine erotische Sonate in Dur.

Sinnlichkeit wird so mit unterschiedlichen Sinnen erfahrbar.

Hauptthema der Werke Tamara Quints ist die weibliche Sexualität. Ihre Frauenkörper sind in unterschiedlichen Stadien der Lust dargestellt: eigenen oder fremden Phantasien sich hingebend, sich lasziv präsentierend, sich selbst erkundend. Auch als Einzelfiguren erscheinen die Frauenakte als Protagonistinnen einer in der Betrachterphantasie weiter zu imaginierenden Szene. Selbst bei Anwesenheit männlicher Figuren nehmen diese nur die Rolle von Beobachtern ein, die ironisierend mögliche Betrachterreaktionen oder -phantasien verkörpern. Tamara Quints Frauen sind somit nicht Objekt, sondern Subjekt. Nicht Unterworfene, sondern - sich und andere ihrer eigenen Lust - Unterwerfende. Die Attraktion des weiblichen Körpers wird zum Kraftzentrum eines von Begehren und Erregung geladenen Magnetfeldes. Dabei verarbeitet sie durchaus autobiografische Erfahrungen und Beobachtungen. So bleibt es stets der Vorstellungswelt des Betrachters überlassen, wieviel eigenes (Er)Leben im Werk Tamara Quints verarbeitet wurde.

Tamara Quints Frauenakte fassen den weiblichen Körper als Verkörperung eines sich fallen lassenden Lustprinzips auf. Besondere Spannung bezieht dieser künstlerische Hedonismus aus der Tatsache, dass es eine Frau ist, die lustvoll den Blick auf die Lüsternheit ihrer Geschlechtsgenossinnen richtet... Würde man einem männlichen Künstler eine solche Reduktion der Frau auf ihre Sexualität verzeihen?

Markus Golser, Kunsthistoriker